Das Unbehagen in der Natur. Psychoanalytische Perspektiven auf die Corona-Krise
Das Jahr 2020 wird sicher vor allem erinnert werden als das Jahr der Corona-Pandemie. Weltweit wird aktuell mit dem Virus ein Umgang gesucht, es werden Modelle und Kurven errechnet und betrachtet, Ansteckungswege erkundet, Grenzen, Läden, Schulen geschlossen (und vorsichtig wieder zu öffnen versucht), Menschen durch Ausgehverbote voneinander isoliert und gleichzeitig Familien, Paare und Wohngemeinschaften zum engen Zusammenleben gezwungen. Die Bewegungen der Bevölkerung werden (freiwillig oder forciert) analysiert und überwacht, in den Medien gibt es kaum ein anderes Thema. Die Menschen folgen den Expert*innen der Wissenschaft, ihren Berechnungen und Grafiken, während parallel dazu Fake News und Verschwörungstheorien blühen. „Der unsichtbare Feind“ ruft kollektiv ins Gedächtnis, dass sich die Natur nicht vollkommen kontrollieren lässt. Zugleich produzieren die staatlichen Eindämmungsversuche in der Bevölkerung Ängste, Unsicherheiten und Ärger, aber auch große Zustimmung. Autoritäre Ordnungshüter*innen stehen antiautoritär-rebellischen Abwiegler*innen gegenüber: Rufe nach Sicherheit und Schutz vor der Krankheit werden genauso laut wie Ansprüche auf individuelle Freiheiten, aber auch die Sorge um die wirtschaftlichen und sozialen Folgewirkungen der Maßnahmen wie Arbeitslosigkeit, die Überlastung der Frauen, Anstiege von häuslicher Gewalt, Zunahme an psychischen Erkrankungen, das Elend der Geflüchteten in den Lagern in Griechenland oder der Obdachlosen hierzulande. Zugleich werden auch eingeschränkte solidarische Momente sichtbar und neue Wege der Kommunikation und sozialen Nähe trotz Social Distancing gesucht. Allerorten blühen Spekulationen darüber, wie die post-Corona-Gesellschaft aussehen wird, Apokalypse-Phantasien stehen hier neben Wunschphantasien eines geläuterten, solidarischen und grünen ‚Danach‘.
Wir stecken mitten im Geschehen, können über die Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen gegen sie nur Vermutungen und Prognosen anstellen. Jedoch lassen sich bereits jetzt unsere eigenen gefühlsmäßigen Reaktionen und veränderten bzw. sich verändernden Wahrnehmungs- und Interaktionsmuster ebenso wie diejenigen anderer beobachten und analysieren. Ob wir im Dezember, zum Zeitpunkt der Jahrestagung schon auf die Krise zurückblicken können oder uns noch mitten drin befinden werden, wissen wir nicht. Sicher aber lohnt sich eine Auseinandersetzung mit der Corona-Pandemie, gerade aus einer psychoanalytisch-sozialpsychologischen Perspektive.
Auf dem Eröffnungspanel und den Workshops wollen wir uns mit diesem Themenkomplex befassen und Fragen wie die folgenden erkunden:
- Wie verändern sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers, aber auch zwischenmenschlicher Interaktionen durch das Virus? Wie wird die (Nicht-)Kontrollierbarkeit der Natur nun wahrgenommen?
- Was machen die Isolation und die neuen Weisen der Kommunikation und der Arbeit mit uns und anderen? Wie wird dies durch unterschiedliche Wohn- und (Lohn- und Care-)Arbeitssituationen und der sozialen Lage beeinflusst?
- Welche Phantasmen zeigen sich im Diskurs über das Virus? Wofür steht der Corona-Diskurs evtl. sonst noch? Welche Ängste, Wünsche und Verarbeitungsstrategien zeigen sich in ihm? Was wird dabei latent gemacht und worüber wird nicht geredet? Welche lebenspraktischen Funktionen erfüllen die sozialutopischen Illusionen (und welches Naturverhältnis ist in ihnen repräsentiert)?
- Wie können wir die unterschiedlichen Reaktionsweisen in der Bevölkerung verstehen?
- Mit welchen Strategien und Inszenierungen begegnen Regierungen, aber auch die neuen Expert*innen der Krise, den durch die Krise entstandenen Gefühlslagen in der Bevölkerung? Wie reagiert die politische Rechte und wie emanzipatorische Kräfte?
- Wie lässt sich dem Anstieg von verschwörungstheoretischem Denken aus sozialpsychologischer Sicht begegnen?
- Welche Funktion haben die Zahlen, Grafiken, Rechnungen, Prognosen in der Krise und welche Effekte zeigen sie?
Für alle Mitglieder und Interessierten bedeutet dies: Save the Date, 04.–05.12.2020
Und für die AGs: Wir freuen uns über Workshops zum Thema aus euren Reihen.
Aktuelles Tagungsorga-Team:
Marcus Beisswanger, Leonard Brixel, Markus Brunner, Ayline Heller, Daniel Hildebrandt, Florian Knasmüller, Fabian Nophut, Tom Uhlig, Hannes Weidmann
Mail: tagung@psasoz.org
Wer noch Lust hat, bei der Organisation mitzuhelfen, melde sich jederzeit gerne bei uns!