An Weihnachten 2021 ist Martin Dornes im Alter von 71 Jahren gestorben. Er war ein Pionier der empirisch gestützten Entwicklungspsychologie. Und zwar zu einer Zeit, als Beobachtungsstudien zur Mutter-Kind-Interaktion noch als »unpsychoanalytisch« galten und als »oberflächliche Sozialpsychologie« abgewehrt wurden, weil diese angeblich die Tiefendimension des Unbewussten ignorierten. Im Vergleich zum auf der Couch erinnerten oder phantasierten, d. h. psychoanalytisch rekonstruierten Säugling, so hieß es damals, sei der reale Säugling irrelevant. Gegen erheblichen Widerstand hat Martin Dornes wie kaum ein anderer schließlich für die – verspätete – Integration von Säuglingsforschung und Psychoanalyse im deutschsprachigen Raum gesorgt. Dabei haben seine auf dem jeweils neuesten Forschungsstand fortgeschriebenen Monographien zur mentalen Entwicklung des Kindes – von Der kompetente Säugling (1993) bis zu Die Modernisierung der Seele (2012) – nicht nur unser Wissen über die soziale Bezogenheit der Säuglingspsyche ständig erweitert, sondern zu einer schulenübergreifenden Modernisierung der gesamten Psychoanalyse beigetragen, die als intersubjektive Wende oder »relational turn« inzwischen zahlreiche Strömungen des psychoanalytischen Pluralismus ergriffen hat. Weiterlesen