Die 5. Jahrestagung des GfpS beschäftigt sich mit dem Themenfeld »Geschlecht und Familie«. Eine psychoanalytische Auseinandersetzung mit Geschlecht erscheint vielen problematisch, da sie die Psychoanalyse, besonders häufig im Bezug auf ihren Begründer Sigmund Freud, als eine „Apologie des bürgerlich-patriarchalischen Status Quo“ (Juliet Mitchell) begreifen. Dabei scheint eine Beschäftigung in Zeiten einer größer werdenden völkischen Bewegung und eines sich immer stärker manifestierenden autoritären und antifeministischen Rollbacks, parlamentarisch vertreten durch die AfD und repräsentiert auf der Straße beispielsweise von der homo- und transfeindlichen „Demo für alle“ in Stuttgart und Wiesbaden, und die damit einhergehende affirmative Haltung gegenüber traditionellen Geschlechts- und Familienbildern unter psychoanalytisch-sozialpsychologischen Gesichtspunkten unumgänglich.
Selbst bei einer oberflächlichen Betrachtung dieser gesellschaftlichen Entwicklung fällt auf, dass Frauen in der sogenannten Neuen Rechten eine enorm wichtige Rolle zu spielen scheinen. Dazu genügt ein Blick auf die Protagonist_innen dieser besonders in Europa erstarkenden und immer präsenter werdenden politischen Strömung: Frauke Petry bei der AfD, Marine Le Pen beim Front National, Alina von Raueneck bei der Identitären Bewegung und Tatjana Festerling bei PEGIDA, oder Ellen Kosiza, die Autorin der rechten Zeitschrift Sezession, um nur einige prominente Beispiele zu nennen. Auch religiöse Fundamentalist_innen vertreten ihre antiquierten Ansichten bezüglich Geschlecht und Familie mit immer größerer Vehemenz und finden dafür auch scheinbar eine wachsende Resonanz. Autoritäre Weltsichten werden sowohl von Vertreter_innen christlicher Religion, als auch von Anhänger_innen des Islam propagiert, wobei die Geschlechter- und Familienthematik eine exponierte Stellung innerhalb dieser einzunehmen scheint.
Gender- bzw. die Geschlechtsidentität sind gesamtgesellschaftlich relevante Kategorien und Deutungsmuster, welche Orientierung geben, den gesellschaftlichen Zugang zu Ressourcen und Macht regulieren und tief in der Persönlichkeit einzelner Gesellschaftsmitglieder verankert sind. Hier nun zeigt sich der große Gewinn den die psychoanalytische Sozialpsychologie zu diesem Thema beitragen kann. Diese schafft einen Brückenschlag zwischen Gesellschaft und Individuum, indem sie, wie Theodor W. Adorno immer wieder betont, auf die Dialektik zwischen Allgemeinem und Besonderem, Gesellschaft und Individuum hinweist und aufzeigt, inwiefern beides aufeinander verweist. Die Frage nach dem Verhältnis der Geschlechter, der Funktion und Sichtbarkeit von Rollenbildern in Familien, der Versuch, eine gewisse Vorstellung über diese politisch durchzusetzen und im Anschluss an Adorno und Horkheimer auch die Frage der Geschlechter im Blick auf die erste und zweite Natur sowie die Zivilisation, erscheinen als zentrale Fragen die zu einer umfangreichen Analyse der Gesellschaft und einer umfassenden Kritik sowohl der bestehenden Verhältnisse als auch der erstarkenden regressiven Tendenzen innerhalb dieser von großer Relevanz zu sein scheinen.
Um eine Betrachtung des Themas Geschlecht und Familie unter emanzipatorischen Vorzeichen und den Zusammenhang von unter anderem völkischem Denken, autoritärem Charakter und dem Stellenwert des Antifeminismus innerhalb autoritärer Ideologien unter Einbeziehung der Interaktion mit anderen Ideologemen, namentlich Rassismus, Autoritarismus und Antisemitismus, soll es auf der 5ten Jahrestagung der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie vom 1. bis zum 3. Dezember 2017 in Frankfurt am Main im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim gehen. Hierbei soll die Psychoanalyse nicht als „Verklärung der patriarchalischen Gesellschaft“, sondern als deren Analyse und Kritik fungieren. Beginnen wird die Tagung mit einem Vortrag von Ljiljana Radonić am Freitag Abend und anschließendem kleinem Umtrunk, um dann am Samstag und Sonntag in jeweils drei Workshop-Phasen weitere Aspekte des Themas Geschlecht und Familie zu betrachten. Außerdem wird es am Samstag Abend eine Podiumsdiskussion mit Roswitha Scholz und Rolf Pohl geben.
Programm
Donnerstag, 30. November:
10–18 Uhr: Pre-Conference: Forschungskolloquium der GfpS (im Senatssaal im Juridicum der Goethe-Universität)
Freitag, 1. Dezember:
12–13.30 Uhr: Workshop »Studentische Lehrveranstaltungen organisieren« (Markus Brunner, Katharina Meyer, Matthias Monecke, Tom Uhlig)
14–17.30 Uhr: Mitgliederversammlung der GfpS mit Vorstandswahlen
18:30 Uhr: Anmeldung zur Tagung
19:15 Uhr: Begrüßung
19:30 Uhr: Vortrag von Ljiljana Radonić: Psychoanalyse als Gendertheorie. Freud & seine Kritikerinnen
Samstag, 02. Dezember:
11:00 Anmeldung
11:30 Uhr Begrüßung
12:00 Uhr Workshops 1:
— Antifeminismus und Antisemitismus (Jonas Fedders)
— Ohne Gewalt keine Liebe? Zum Verhältnis männlicher Subjektivität und Frauen- und Homofeindlichkeit (Alexandra Bandl und Lili Helmbold)
— (Selbst-) Reflexion in feministisch und psychoanalytisch inspirierter Sozialforschung (Simone Rassmann)
15:00 Uhr Essen
16:00 Uhr Erinnerung an Achim Schröder
16:30 Uhr Reflexion aus den Workshops
17:15 Uhr Pause
17:30 Uhr Podiumsdiskussion mit Roswitha Scholz und Rolf Pohl: Autoritarismus und Antifeminismus. Geschlecht und Familie in der sogenannten neuen Rechten
Sonntag, 03. Dezember:
10:00 Uhr Begrüßung
10:30 Uhr Workshops 2:
— Familie als Ort politischer Sozialisation (AG Adoleszenz und Arbeit)
— Vom Jungen zum Krieger? Männlichkeitsentwürfe in den Propagandavideos des „Islamischen Staates“ (Andreas Jensen, Corinna Poholski)
— Sadomasochistische Sexualität als Spiel mit geschlechtlicher Be- und Entgrenzung. Eindrücke aus der Jugendarbeit in der BDSM-Subkultur (Nina Schaumann)
13:30 Uhr Kaffee & Kuchen
14:00 Uhr Reflexion & Abschlussrunde
15:00 Uhr Ende
ab 15:00 Uhr Möglichkeit für die AGs sich noch in den Tagungsräumlichkeiten zu treffen
Nähere Infos zu den einzelnen Workshops gibt es auf dem Flyer zur Tagung.
Tagungsbeiträge (inkl. Catering):
Studierende (Mitglied): 5€
Studierende (Kein Mitglied): 10€
Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen o.a. mit halber Stelle (Mitglied): 10€
Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen o.a. mit halber Stelle (Kein Mitglied): 20€
Vollzahler_innen (Mitglied): 15€
Vollzahler_innen (Kein Mitglied): 30€
Anmeldung bis zum 30.11.2017 unter tagung@psasoz.org
Tagungsort: Studierendenhaus der Goethe-Universität, Mertonstraße 26, 60325 Frankfurt a.M.
Tagungsorganisation: Isabel Gottschling, Andreas Jensen, Clara Mißbach, Tamara Schwertel und Florian Wehrle
Ankündigungstexte der Workshops:
Familie als Ort politischer Sozialisation (AG Adoleszenz und Arbeit)
Gerade in Zeiten der Zuspitzung politischer Lager stellt sich die Frage danach, wodurch Positionierungen und Aktivismus bedingt sind — also die Frage nach politischer Sozialisation. Die Adoleszenz stellt zumeist die Lebensphase dar, in die der Beginn politischen Engagements fällt. Den Voraussetzungen für dieses Engagement in Adoleszenz und Postadoleszenz wollen wir im Workshop nachspüren. Grundlage dafür bilden Auszüge aus Interviews mit jungen, politisch aktiven Erwachsenen sowie Gruppeninterviews mit Kindern, die wir gemeinsam diskutieren wollen. Dabei nehmen wir zunächst den Zusammenhang familialer und politischer Sozialisation in den Blick. Anschließend betrachten wir insbesondere politisierend wirkende Geschwisterbeziehungen. Davon ausgehend wollen wir uns im Workshop über die Wechselverhältnisse von Familie, Geschlecht, Gesellschaft und politischer Sozialisation verständigen.
(Selbst-) Reflexion in feministisch und psychoanalytisch inspirierter Sozialforschung (Simone Rassmann)
In qualitativer Sozialforschung, in der nicht von der Möglichkeit „objektiver“ Erkenntnisse ausgegangen wird, erhält die Bedeutung subjektseitiger Einflüsse auf die Forschung einen besonderen Stellenwert. Die Subjektivität im Forschungsprozess wird durch verschiedene Zugänge methodologisch bzw. epistemologisch begründet. Dies zeigt sich z.B. in unterschiedlichen Schwerpunkten und Ansprüchen bei der Selbstreflexion der Forschenden, der Reflexion der Forschungsbeziehungen im Forschungsfeld und der Bedingungen der Wissens- und Erkenntnisproduktion im weiteren Sinn. Sowohl die Frauen- und Geschlechterforschung, als auch die Psychoanalyse liefern wichtige Beiträge zu Diskussionen rund um (Selbst-) Reflexivität im Forschungsprozess und Fragen u.a. nach situiertem Wissen, affektiven Verstrickungen und Herrschaftskritik.
Im Workshop soll es darum gehen, mit Hilfe ausgewählter Texte einige zentrale feministische und psychoanalytische Zugänge zum Thema (Selbst-) Reflexion kennen zu lernen, um Verbindungen, Unterschiede und Leerstellen der Ansätze zu diskutieren.
Antifeminismus und Antisemitismus (Jonas Fedders)
Die »Rockefellers und Rothschilds«, so heißt es auf einem Internet-Blog, hätten den Feminismus erfunden, um eine »Weltregierung« zu errichten, »die alles bestimmt und kontrolliert«. Dieses Zitat ist nur ein Beispiel von vielen, das verdeutlicht, inwiefern antifeministische und antisemitische Denkweisen miteinander verwoben sind. Dieser Zusammenhang ist indes kein neues Phänomen. Die Historikerin Shulamit Volkov prägte einst den Begriff vom Antisemitismus als »kulturellen Code«. Für sie zeichnete sich der Antisemitismus des frühen 20. Jahrhunderts vor allem durch die Übernahme eines bestimmten anti-modernistischen Weltbildes aus. Doch auch aus dem Diskursfeld des organisierten Antifeminismus der Gegenwart sind Elemente eines verschwörungsideologischen Antisemitismus kaum mehr wegzudenken. In dem Workshop sollen sowohl die historischen als auch die zeitgenössischen Verflechtungen von Antifeminismus und Antisemitismus einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.
Ohne Gewalt keine Liebe? — Zum Verhältnis männlicher Subjektivität mit Frauen- und Homofeindlichkeit (Alexandra Bandl und Lili Helmbold)
In unserem Workshop werden wir anhand von ausgewählten Texten die Entstehung des männlichen Subjekts und die verschiedenen Ursachen der patriarchalen Vergesellschaftung desselben diskutieren. Besonderes Augenmerk legen wir auf die Rolle der Homo- und Frauenfeindlichkeit bei der männlichen Individuation und Sozialisation. Welche gesellschaftlich-kulturellen (phylogenetischen) und individuellen (ontogenetischen) Entwicklungen, sowie Mechanismen sind hierbei relevant? Lässt sich ein Unterschied zwischen Homo- und Frauenfeindschaft ausmachen, der sich in unterschiedlichen innerseelischen Abläufen ausdrückt? Handelt es sich beim Hass auf Homosexuelle um eine versteckte Misogynie, sind beide also Ausdruck der Angst vor dem Anderen, sogar dem eigenen Begehren? Diesen und vielen Fragen mehr wollen wir mit euch nachgehen.
Vom Jungen zum Krieger? Männlichkeitsentwürfe in den Propagandavideos des „Islamischen Staates“ (Andreas Jensen, Corinna Poholski)
Es ist mittlerweile bekannt, dass der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) eine enorme Propagandaindustrie besitzt. Im Mittelpunkt der Unmengen an Propagandachargen, die der IS tagtäglich produziert, steht vor allem das an Hollywood-Blockbuster anmutende Videomaterial. Einige Studien haben sich bereits mit der Argumentationsweise, den angesprochenen Themen und Narrativen sowie der Beschaffenheit dieser Videos auseinandergesetzt. Recht unerforscht bleibt bisher allerdings die emotionale Wirkungsweise dschihadistischer Videopropaganda. Dieser Umstand verwundert umso mehr, als dass es sich bei denjenigen Personen, die in den „Dschihad“ gezogenen sind, nachweislich nicht um Schriftgelehrte, sondern vielmehr um hochgradig emotionalisierte Menschen handelt. Dschihadistische Propaganda zielt nicht auf rationale Argumente, sondern mobilisiert irrationale, unbewusste und regressive Prozesse. Möchte man der Anziehungskraft dschihadistischer Propaganda auf den Grund gehen, reicht es daher nicht aus auf der Ebene diskursiven Denkens zu verbleiben und nach rationalen Bedeutungen zu suchen. Wie Leo Löwenthal schon in Bezug auf die faschistische Propaganda bemerkt, geht es in der irrationalen Sphäre des Agitators, „um die Deutung von vagen Anspielungen, von un- oder halbexplizierten Inhalten“. Gemeinsam wollen wir im Workshop zunächst einen kurzen Blick auf die Erscheinungsformen dschihadistischer Propaganda werfen. Im Anschluss daran, sollen zwei Propagandavideos des IS im Stile einer tiefenhermeneutischen Interpretationssitzung betrachtet werden.
Sadomasochistische Sexualität als Spiel mit geschlechtlicher Be- und Entgrenzung — Eindrücke aus der Jugendarbeit in der BDSM-Subkultur (Nina Schaumann)
Sadomasochismus hat viele Gesichter: Während die Trivialliteratur sadomasochistische Praktiken als heteronormative Kitsch-Fantasie stilisiert und sich „SM“ als beliebter Tag auf Mainstream-Pornoseiten etabliert hat, existiert weiterhin die ICD-10 Diagnose Sadomasochismus als pathologische Sexualpräferenz. Davon weitgehend losgelöst hat sich eine sexuelle Subkultur gebildet, die selbigen Namen für sich beansprucht. In ihrem Workshop berichtet Nina Schaumann, die seit 4 Jahren Jugendliche mit SM-Neigung betreut, von ihrer wissenschaftlichen und pädagogischen Arbeit zum Thema – dabei soll es nach einer einsteigerfreundlichen Einführung in die Thematik neben klassischen Themen der Jugendarbeit (z.B. Coming Out) besonders um die Verzahnung von SM-Praktiken und Geschlechterkonstruktionen gehen. Gemeinsam wird anhand konkreter Fälle diskutiert und Chancen aber auch Risiken ausgelotet.