Zweite Jahrestagung der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie
GENERATIVITÄT IN DER KRISE
5. und 6. Dezember 2014 in Frankfurt/Main
Die Begriffe Generation und Generativität sind zentral für die psychoanalytische Sozialpsychologie und ihre Perspektive auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. In der Generationenabfolge in Familien wie auch in größeren gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen geht es neben der Tradierung von Wertvorstellungen und Normen auch um die Weitergabe von Macht und Verantwortung an die jüngere Generation sowie um deren Chance, das Übernommene zu ändern. Generationenbeziehungen stehen im Spannungsfeld von Tradition und Revolution und sind strukturell von Ambivalenz geprägt. Insofern wohnt Generativität– gefasst als das Wissen um das Aufeinanderangewiesensein der Generationen, was gegenseitige Verantwortung und insbesondere die Sorge der älteren Generation für die nächste Generation impliziert – immer ein Moment der Krise inne. Doch mit Blick auf die Folgen der andauernden globalen Krise stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich gegenwärtig Generativität selbst in einer Krise befindet. Ist die gegenwärtige Krise auch eine Krise der Generativität, da sich in der gegenwärtigen Gesellschaft ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltiges Handeln weder individuell noch kollektiv zu „lohnen“ scheint? Was ist der gesellschaftliche Preis für diese Leugnung von Abhängigkeit und wie kommt sie gesellschaftlich und sozialpsychologisch zustande? Umgekehrt ist zu fragen: Welche psychosozialen Auswirkungen haben die gegenwärtigen sozioökonomischen und politischen Krisen auf die Generationenbeziehungen, auf Kindheit und Adoleszenz, und auf Geschlechterverhältnisse?
Die 2. Jahrestagung der Gesellschaft für psychoanalytische Sozialpsychologie orientiert sich an diesen Leitfragen, die im Eröffnungsvortrag und in verschiedenen AGs aufgegriffen und diskutiert werden. Ausserdem soll über die Struktur und die Aufgaben der neu gegründeten Gesellschaft gesprochen werden. Wir laden alle an der psychoanalytischen Sozialpsychologie Interessiertenherzlich ein, an der Tagung teilzunehmen und sich an der Diskussion zu beteiligen.
Vortrag: Zukunft der Nachkommen – generative Krisen der Gegenwart (Vera King)
Der Begriff der Generativität zielt aus einer kulturtheoretischen und sozialpsychologischen Sicht auf produktive Bedingungen im Generationenverhältnis. Generativ zu sein bedeutet, förderliche Bedingungen für die Entwicklung der Nachkommen in Familie und Kultur herzustellen. Dies beinhaltet: Fürsorge angedeihen zu lassen, Ressourcen bereitzustellen auch für eine Zukunft, aus der man selbst ausgeschlossen ist. Krisen der Generativität und destruktive Potenziale, aber auch kreativ versöhnende Haltungen gründen maßgeblich in dieser aus der individuellen Endlichkeit resultierenden Spannung. Sie sind verknüpft mit der Art, in der Vergänglichkeit und generationaler Wechsel, Weitergabe und Neuschöpfung kulturell gedeutet, institutionell reguliert und individuell bewältigt werden können. Im Vortrag werden diese Zusammenhänge beleuchtet und Krisenpotenziale analysiert.
Workshop 1: »Next Generation(s)?! Geschichtskonstruktionen der psychoanalytischen Sozialpsychologie« (Jan Lohl, Markus Brunner)
NachwuchswissenschaftlerInnen im Feld der psychoanalytischen Sozialpsychologie wurden in den vergangenen Jahren als „next generation“ bezeichnet. Diese Anrufung und Selbstbezeichnung ist ambivalent und verweist auf eine »ältere Generation«. Mit dieser Konstruktion von Generationen sind vermutlich geteilte, aber unterschiedlich besetzte Bilder von »Urvätern« (Adorno, Mitscherlich uvm.) verbunden. Im Workshop fragen wir nach Verschränkungen einer invention of tradition mit Tradierungen der psychoanalytischen Sozialpsychologie. Was bedeutet es, die Geschichte psychoanalytischer Sozialpsychologie „generationell“ zu denken?
Workshop 2: Die neuen Väter und der alte Antifeminismus (Sebastian Winter)
Im Zuge des Übergangs zu postfordistischen (Re-)Produktionsformen sind die überkommene Geschlechterordnung und damit auch die »Väterlichkeit“ fraglich geworden. Einerseits ist die Flexibilisierung starrer Geschlechternormen erwünscht, andererseits gibt es eine antifeministische Gegenbewegung, die sich klare Geschlechtsidentitäten zurückwünscht. Die »Väterrechtsbewegung« führt diesen Kampf in Bezug auf die Verfügung über Kinder, die den Vätern angeblich entzogen würden. Welches affektive Fundament hat diese Bewegung? Welchen subjektiven Konflikten bietet sie scheinbar ein Lösungsmuster an? Diese Fragen werden wir anhand von Quellentexten aus der Väterrechtsbewegung diskutieren.
Workshop 3: Verwendungen psychoanalytischer Erfahrung in der Analytischen Sozialpsychologie am Beispiel des Verhältnisses von Übertragung und Gegenübertragung (Mechthild Zeul, Karola Brede, Dominic Angeloch)
Gemeinsamer Ausgangspunkt wird sein, dass psychoanalytisch-interpretatorische Erkenntnisbildung ihre Grundlage in der Hermeneutik hat. Es werden verschiedene Wege diskutiert, ausgehend von psychoanalytischer Erfahrung Werke der Ästhetik (Film, Roman u.a.m.) zu erschließen und der Kritik zugänglich zu machen. Die Diskussion konzentriert sich anhand von anschaulichen Beispielen auf das inspirierende, aber auch kontrovers gehandhabte Kernstück des Zugangs zu Kunstwerken: auf das Verhältnis von Übertragung und Gegenübertragung.
Workshop 4: Gescheiterte Generativität? Adoleszenztheoretische Zugänge zum Phänomen ›Islamischer Staat‹ (Interpretationsgruppe zu empirischem Material) (Christoph Schwarz, Lutz Eichler)
Der offene Interpretationsworkshop befasst sich mit dem Phänomen der Rekrutierung junger Männer aus Europa durch den ‚Islamischen Staat‘ (IS). Wir möchten versuchen, anhand von Propagandamaterialien des IS gemeinsam herauszuarbeiten, wie die intergenerationale Dynamik hier manifest und latent verhandelt wird und Überlegungen anstellen, welche Relevanz dies für die Rekrutierung haben könnte.