„Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten. […] Der Mensch, der krank ist, zeigt, daß bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, daß sie nicht in Konflikt kommen können mit den Mustern der Kultur[.] […] Aber sehr viele Menschen, das heißt: die Normalen, sind so angepaßt, die haben so alles, was ihr eigen ist, verlassen, die sind so entfremdet, sind so zum Instrument, sind so roboterhaft geworden, daß sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden.“ (Erich Fromm im Interview für den Südwestfunk, gesendet im März 1977)
Bereits im Jahr 1953 hielt der Sozialpsychologe Erich Fromm (1900–1980) vier Vorträge in New York, die sich mit einer brisanten Frage beschäftigten: Was wäre, wenn das, was wir gesellschaftlich als normal ansehen, eigentlich krank ist? Fromm entwickelte im Zusammenhang mit seiner Theorie des Sozialcharakters und Marx’ Entfremdungsgedanken die Position, dass uns kapitalistische Lebensweisen die Fähigkeit zu eigenem Denken, Phantasieren und Fühlen abtrainieren. Wegen der Dominanz dieses Defekts in der Bevölkerung bemerken auch wir selbst die pathologische Distanz zur Menschlichkeit nicht – oder doch?
Seelische Gesundheit erkannte Fromm als gekennzeichnet durch „die Fähigkeit zu lieben und etwas zu schaffen, durch die Loslösung von den inzestuösen Bindungen an Klan und Boden, durch ein Identitätserleben, das sich auf die Erfahrung seiner selbst als dem Subjekt und dem Urheber der eigenen Kräfte gründet, durch das Begreifen der Realität innerhalb und außerhalb von uns selbst, das heißt durch die Entwicklung von Objektivität und Vernunft“ (1955a: Wege aus einer kranken Gesellschaft, GA IV, S. 52). Die kommende Jahrestagung der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft (22.–24. Mai 2026, Ev. Bildungs- und Tagungszentrum Bad Alexandersbad) stellt diesem humanistischen Gesundheitsverständnis die zuletzt deutlich gestiegenen Zahl psychischer Diagnosen und Selbstdiagnosen gegenüber. Die Veranstaltung fragt in diesem Zusammenhang zugleich nach der Bedeutung des derzeit sehr offenen Umgangs mit psychischen Erkrankungen auf Social-Media-Plattformen sowie den Konsequenzen normalisierter Gruppennarzissmen und Wegen aus heutigen Entfremdungen vom gesunden menschlichen Selbsterleben.
Studierende, Promovierende, Postdocs und andere interessierte Personen bis zum Alter von 35 Jahren sind herzlich eingeladen, Abstracts von maximal 300 Wörtern für einen 20-minütigen Vortrag zum Thema einzureichen. Dieser kann beispielsweise Bezüge zu persönlichen Forschungsfeldern, aktuellen Nachrichten oder Alltagsbeobachtungen herstellen, sollte sich aber in jedem Fall mit dem Tagungsthema und den Gedanken Erich Fromms auseinandersetzen. Insgesamt werden drei Beiträge zur Präsentation im Rahmen der Tagung mit der Option einer anschließenden Veröffentlichung im Fromm Forum ausgewählt. Zusätzlich werden die Unterbringungs- und Verpflegungskosten übernommen, damit die Referierenden an allen Inhalten und Gesprächen am Tagungswochenende teilhaben können.
Die Abstracts sind bitte bis spätestens 30. November 2025 als PDF-Dokument per E‑Mail an info@fromm-gesellschaft.de (Rückfragen an dieselbe Adresse) zu senden. Der Vorstand der IEFG lädt alle Interessierten herzlich zur Tagung ein, ist gespannt auf die Vorschläge und wünscht viel Freude am produktiven Denken.
Der CfA als pdf-Datei.